In Aachen - Rothe Erde kennt man Katastrophen

Aachen. Im Laufe der vergangenen rund 150 Jahre hat der Industriestandort Rothe Erde ein Auf und Ab erlebt, das am Dienstag seinen vorerst letzten Tiefpunkt erlebte.

1000 Menschen verlieren bei der Schließung des LG-Philips-Bildröhrenwerks ihre Arbeit. Einige tausend waren es an selber Stelle schon einmal 1926, als das Hüttenwerk schloss.

Hier eine Chronik des Standorts:

Im Jahr 1846 wird in Rothe Erde ein großes Walz- und Hammerwerk gebaut, das schon bald einen enormen Aufschwung erlebt. Im November 1883 nimmt das Thomasstahlwerk den Betrieb auf, im Jahr 1899 folgt das Siemens-Martinstahlwerk.

Während des Ersten Weltkriegs arbeiten am Standort Rothe Erde bis zu 7000 Menschen, kurz danach sind es rund 4500. Im Jahr 1926 kommt es zum schwersten Schlag in der Aachener Industriegeschichte: Das Werk in Rothe Erde wird stillgelegt.

Auf einem Teil des Geländes wird 1929 das Aachener Werk des Reifenherstellers Englebert aus Lüttich gegründet, aus dem später «Uniroyal» hervorgeht.

Philips beginnt im Jahr 1934 - allerdings an der Jägerstraße - mit der Produktion von Rundfunkgeräten, unter anderem dem «Aachen super». Mit der Evakuierung 1944 endet jedoch die viel versprechende Radioproduktionsära von Philips in Aachen. Im August 1945 starten 15 Philips-Mitarbeiter einen Neuanfang, das ehemalige Rundfunkgerätewerk wird Verwaltungsgebäude. Der Beginn der Glühlampenproduktion mit niederländischer Hilfe 1946 leitet den Wiederbeginn ein.

In Rothe Erde beginnt 1947 der Neubau einer Glashütte. Die Produktion von Bauteilen für Bildröhren startet 1953/54. Neben der Glasfabrik entsteht das Bildröhrenwerk. Am 14. Oktober 1957 läuft bereits die millionste Schwarzweiß-Röhre vom Band.

Farbbildröhren werden ab 1967 in Rothe Erde hergestellt, 1972 ist Schluss für die Schwarz-Weiß-Röhren. Die drei Firmen am Standort heißen jetzt «Philips Glühlampenwerk», «Granus Glasfabrik» und «Valvo Bildröhrenfabrik».

Continental übernimmt den europäischen Teil des Uniroyal-Konzerns im Jahr 1979. Der Markenname bleibt noch lange bestehen.

Rund 30 Millionen Euro werden bei Philips noch 1994 in die Glas- und die Bildröhrenfabrik investiert. Im Januar 2000 der erste Schock: Es wird bekannt, dass 536 Mitarbeiter des Bildröhrenwerks in einem Stufenplan ihre Arbeit verlieren werden. Das ist zu deisem Zeitpunkt ein Drittel der gesamten Belegschaft. Im Glühlampenwerk werden ab 2001 rund 50 Millionen Euro für die Erweiterung der Produktionsanlagen investiert.

Die Bildröhren- und die Glasfabrik werden ebenfalls 2001 in einen Unternehmensverbund mit dem südkoreanischen Konzern «Lucky Goldstar» (LG) überführt. Der neue Name lautet: «LG Philips Displays Germany». Das Glühlampenwerk gehört weiter zu Philips Deutschland. Das Continentalwerk auf der anderen Straßenseite zählt rund 1600 Beschäftigte.

Im Mai und Juni 2003 wird das Bildröhrenwerk aus Kostengründen für drei Wochen komplett geschlossen. Im August macht die IG Metall Zahlen öffentlich, nach denen bis Ende 2004 weitere 390 Stellen wegfallen sollen. Die Geschäftsführung dementiert. Kurz zuvor hat sich die Werksleitung bei den Mitarbeitern für die 50-millionste Farbbildröhre bedankt.

Unterdessen sind Strategiepapiere aus der Konzernzentrale in Hongkong aufgetaucht, laut denen alle europäischen Bildröhrenwerke zugunsten einer im Jahr 2002 eröffneten Fabrik im tschechischen Hranice aufgegeben werden sollen.

Am 24. November sickert aus Reihen von Zulieferfirmen durch, dass das Bildröhrenwerk geschlossen werden soll. Das Gerücht wird mit dem Dienstag zur Gewissheit. 1000 Menschen werden Mitte 2004 ihre Arbeit verlieren.

Quelle: Redakteur Stephan Mohne (Aachener Zeitung)   (02.12.2003)